Bild: © Kohler Bau AG
Interview aus aqua viva 4/2023
Mehr Natur, weniger Kosten
Hansruedi Kohler ist Bauunternehmer und Präsident der Schwellenkorporation Schattenhalb. Revitalisierungen stand er lange Zeit skeptisch gegenüber. Was ihn überzeugt hat, warum er sich nun für die Revitalisierung des Rychenbachs engagiert und welche Erfahrungen er dabei gemacht hat, erzählt er im Gespräch mit Aqua Viva.
Das Gespräch führte Tobias Herbst
«Kommunikation und den Leuten das Gefühl geben, dass man ihnen entgegenkommen möchte. Damit bin ich am besten gefahren.»
Hansruedi Kohler, Präsident der Schwellenkorporation Schattenhalb und Geschäftsführer des Baununternehmens Kohler Bau AG
Herr Kohler, warum setzen Sie sich als Bauunternehmer für revitalisierte Gewässer ein?
Ich führe ein Familienunternehmen in 3. Generation und wir haben schon immer Projekte an Fliessgewässern realisiert. Als mein Vater noch das Unternehmen leitete, arbeitete ich im Tiefbau als Maschinist und bediente grosse Bagger. Der Stolz eines jedes Maschinisten war damals, dass er eine gerade Mauer bauen konnte, jeder Stein sauber verlegt. Eines Tages kam jedoch die Anweisung, dies sei nun vorbei. Im Sinne eines naturnahen Wasserbaus gelte es fortan, wild und dem Gelände angepasst zu arbeiten. Unter uns Maschinisten war dies ein grosser Diskussionspunkt, weil dies eben keine handwerklichen Fähigkeiten mehr erforderte. Nach den ersten zwei bis drei Projekten musste ich aber ehrlicherweise zugeben: Das sieht besser aus, das ist schöner. Als Präsident der Schwellenkoperation Schattenhalb habe ich mich dann immer mehr mit solchen Projekten auseinandergesetzt. Und so ein gerader Kanal, wie früher der Rychenbach, hat angefangen mich zu stören. Das war einfach kein Bach mehr für mich. Ausserdem habe ich erkannt, was die Natur uns zeigt: Gewässer sind aus einem guten Grund breiter. Das Gewässer braucht Platz, damit es bei Hochwasser nicht zu Schäden kommt. Und wenn wir einem Gewässer mehr Platz geben, beginnt bereits die Revitalisierung. So habe ich schrittweise das Revitalisieren entdeckt und heute bin ich begeistert.
Wie kam es zur Idee, den Rychenbach zu revitalisieren?
Wir sind eine sehr kleine Gemeinde, haben aber viele Wildbäche, die wir unterhalten müssen. Der Rychenbach ist der grösste und es kam immer wieder die Frage auf, was wir mit ihm machen. Der Rychenbach war ein Kanal, beidseitig halb verbaut. Die Verbauung war alt und mit sehr kleinen Steinen gemauert. Solch kleine Steine werden schneller ausgespült, so dass die Böschungen nicht mehr geschützt waren und vom Bach mitgerissen wurden. Ausserdem gab es einen Kiessammler, den wir im Frühling und im Herbst leeren mussten. Das heisst wir mussten das Geschiebe ausbaggern und auf eine Enddeponie bringen. Insgesamt belief sich der Gewässerunterhalt auf 30 000 bis 40 000 Franken pro Jahr.
Gab es neben den Unterhaltskosten noch weitere Gründe?
Entscheidend waren sicher die Hochwasser in 2004, 2005 und 2007. Diese wurden als Jahrhunderthochwasser bezeichnet und ich habe mich gewundert, wie schnell so ein Jahrhundert vergeht. In allen drei Jahren hatten wir grosse Probleme, am schlimmsten war es aber 2005. Der grösste Landwirtschaftsbetrieb der Gemeinde wurde komplett überflutet, eine Klinik in der Nähe war ebenfalls stark betroffen und das Haus einer Privatperson wurde geflutet. Ich war damals Feuerwehrkommandant und wir mussten sogar Leute evakuieren. Die Idee kam also ein Stückweit aus der Not heraus. Wir haben uns dann an einen Tisch gesetzt und die damalige Wasserbauingenieurin der Schwellenkorporation hat uns zu einer Revitalisierung geraten. Danach ging alles relativ schnell. Wir haben Begehungen organisiert mit dem Renaturierungsfonds des Kantons Bern (RenF), dem Kanton und dem Bund und auch dort hat sich die Revitalisierung als beste Variante erwiesen. Wichtig waren sicher auch die vielen Fördermittel.
Welchen Anteil an den Projektkosten mussten Sie am Ende selbst tragen?
Das ganze Projekt war circa 4,5 Millionen Franken teuer und die Schwellenkorporation Schattenhalb musste einen entsprechenden hohen Kredit beschliessen. Dies war ein historischer Moment. Denn wir haben ein Einkommen von gerade einmal 130 000 bis 140 000 Franken im Jahr. Weil wir aufzeigen konnten, dass nach den Fördermitteln von Bund, Kanton sowie dem RenF Restkosten von maximal 50 000 Franken verbleiben, fiel der Beschluss dennoch einstimmig.
Wurden diese Mittel auch für den Landerwerb benötigt?
Das für die Revitalisierung benötigte Land war vollständig im Besitz von Landwirten oder der Bäuertkooperation Willigen, die losgelöst ist von der Gemeinde. Wir mussten also das gesamte Land – rund 6800 Quadratmeter – erwerben. Im Vorfeld haben mich alle davor gewarnt, dass dies die schwierigste Aufgabe bei einem Revitalisierungsprojekt sei. Am Ende war es so doch relativ einfach, das nötige Land zusammenzubekommen. Entscheidend dafür war sicher, frühzeitig das Gespräch mit den Landwirten zu suchen, sie mit ins Boot zu holen und eine gemeinsame Lösung zu finden. Gibt es schon einen Projektplan, mit dem man auf die Leute zugeht, sind sie schnell der Meinung, dass sie nicht mehr die Möglichkeit haben, sich einzubringen. Im Gespräch müssen dann sowohl die Vorteile als auch die Nachteile des Projekts offen kommuniziert werden. Viele Leute sind der Meinung, dass Landwirtschaftsland mit drei bis fünf Franken für den Quadratmeter nicht viel wert ist. Was aber oft vergessen wird ist, dass die Existenz des Landwirts von diesem Land abhängt. Ich musste also zeigen, dass der Landwirt etwas verliert, wir dafür aber seine Felder besser schützen können. Ausserdem wollte ich umgekehrt auch den Grundeigentümern helfen. Den grössten Landwirtschaftsbetrieb konnten wir beispielsweise dadurch überzeugen, dass wir ihm eine direkte Zufahrt zu seinem Grundstück ermöglichen konnten. Vorher musste er immer über eine fremde Parzelle fahren.
Kannten Sie die Betroffenen bereits vorher?
Wir sind eine kleine Gemeinde. Bei uns kennt man sich. Neben meiner Stelle als Präsident der Schwellenkorporation und als Geschäftsführer eines Bauunternehmens war ich 15 Jahre lang auch Feuerwehr-Kommandant – auch während der Hochwasserzeit. Ich kannte daher alle Personen – den einen ein wenig besser, den anderen etwas weniger gut. Aber auch wenn man die Leute gut kennt, macht es dies nicht unbedingt einfacher.
Welche Herausforderungen gab es im Prozess der Projektumsetzung zu meistern?
Das fing früh an mit der Frage, für welches Planungsbüro wir uns entscheiden. Hier hatten wir viel Glück und konnten ein erfahrenes Büro gewinnen. Auch die Ausschreibung stellt eine Herausforderung dar. Bei einer kleinen Gemeinde ist es wichtig, einen lokalen Partner zu gewinnen und nicht ein unbekanntes Unternehmen aus Zürich oder anderswo her. Eine weitere Herausforderung war die Absprache mit der BKW, die oberhalb der Revitalisierungsstrecke ein Kraftwerk betreibt. Für die Bauarbeiten war es extrem hilfreich, dass die BKW einen Grossteil des Wassers zeitweise zurückhalten konnte. Ausserdem gab es noch eine grosse Gas-Transitleitung, die durch den Bach geht und diesbezüglich sehr strenge Vorschriften bei den Bauarbeiten zu beachten. All diese Probleme konnten wir aber mit den Verantwortlichen gut lösen, so dass es bei der Umsetzung zu keinen grösseren Verzögerungen kam. Aktuell haben wir noch Probleme mit einer Ackerfläche, die nicht ausreichend entwässert wird. Wir sind aber dabei, einige Gräben anzulegen, so dass dieses Problem auch bald gelöst sein dürfte.
Wie zufrieden sind Sie heute mit der Umsetzung des Projekts?
Die Ergebnisse sind sensationell. Am meisten Zweifel hatte ich bezüglich des Geschiebes, aber seit der Revitalisierung haben wir dem Bach kein Kies mehr entnommen. Die Ufersicherung ist wunderschön und es gibt bislang keinerlei Schäden. Wir hatten auch schon eine Phase mit sehr viel Wasser. Früher wäre der Bach ziemlich sicher über die Ufer getreten. Im revitalisierten Abschnitt hatten wir aber das Gefühl, dass der Bach sehr schön und langsam fliesst. Wir hatten keinerlei Probleme. Zwar hat der Unterhaltsaufwand für das Mähen der Böschungen etwas zugenommen, aber dies läuft auf ein bis zwei Tage Mehrarbeit hinaus, was uns im Jahr etwa 1500 Franken mehr kostet als früher. Alles andere ist hingegen weggefallen: Wir müssen kein Geschiebe mehr entnehmen, keine Deponiegebühren und keine Ufersanierung. Unter dem Strich haben wir ganz klar weniger Aufwand und weniger Kosten als vorher.
Sind auch erste ökologische Erfolge zu sehen?
Bislang wurde noch kein Monitoring bezüglich des Artenbestands durchgeführt. Durch die Wiederanbindung des Bachs an die Aue sowie die Wiederherstellung der Dynamik und einer natürlichen Gewässersohle wurden aber Lebensräume für zahlreiche Arten geschaffen. 2023 hatten wir beispielsweise wieder Rüschen im Rychenbach.
Und wie wurde das Projekt von den Beteiligten aufgenommen?
Alle Beteiligten und Betroffenen sind sehr zufrieden mit dem Projekt. Wir konnten alles so umsetzen, wie wir es im Vorfeld be- und versprochen haben. Dementsprechend habe ich noch niemanden gehört, der etwas Gegenteiliges gesagt hat.
Und wie geht es nun weiter in der Gemeinde Schattenhalb?
Wie gesagt, bin ich ein grosser Fan von Revitalisierungen geworden. Aktuell haben wir daher schon das nächste Projekt am Laufen, bei dem es nochmals um ganz andere Dimensionen geht. Im Gschwandtenmaad etwas oberhalb der aktuellen Revitalisierung ist der Rychenbach noch über eine recht lange Strecke kanalisiert. Diese Verbauung wollen wir nun entfernen und dem Rychenbach wieder mehr Raum geben. Hierzu bauen wir sogar einen Tunnel, um eine Strasse zu verlegen. Das Projekt kostet insgesamt 16 Million Franken, wovon uns nur noch drei Millionen fehlen. Es ist ein super Projekt und wir sind sehr zuversichtlich, auch das restliche Geld zu beschaffen.
Zum Abschluss: Was würden Sie Gemeinden mit auf den Weg geben, die sich ebenfalls an ein Revitaliserungsprojekt machen?
Sehr, sehr früh mit den Grundeigentümern und der Landwirtschaft Kontakt aufnehmen. Ihnen die Möglichkeit geben, sich aktiv am Projekt zu beteiligen. Auf Wünsche von ihnen eingehen und im Dialog zu erarbeiten, was tatsächlich möglich ist. Auch kleine Dinge, von denen die Landwirte profitieren, wie die angesprochene Zufahrt, können viel zur Akzeptanz beitragen. Diese Zufahrt hat an unseren Projektkosten kaum etwas verändert, aber dafür gesorgt, dass der Betroffene zufrieden war. Kommunikation und den Leuten das Gefühl geben, dass man ihnen entgegenkommen möchte. Damit bin ich am besten gefahren.